JC Pez: “Symphonia” – die älteste Oboensonate? (2/2)

Die Sÿmphonia von Pez weißt so weit in die Vergangenheit wie kein anderes groß angelegtes Solo für Oboe mit Continuo. Warum ist sie heute eine Wiederentdeckung wert? Eine Entdeckungsreise, die uns an vergangene Zukunft erinnern lässt.

 

Warum verdient ein unscheinbares Manuskript aus der Universitätsbibliothek Rostock, die Sÿmphonia für Oboe und Basso continuo des württembergischen Hofkapellmeisters Johann Christoph Pez (*1664 in München, †1716 in Stuttgart, Kurzbiografie am Ende des Artikels), so eine besondere Aufmerksamkeit? Stilistisch bewegt sich dieses Stück genau im Umbruch – einerseits bedienen sich Melodik und Phrasierungen oft Wendungen des ausgehenden 17. Jahrhunderts, während viele formale Elemente ins beginnende 18. Jahrhundert weisen, und so z. B. den frühen Sonaten Händels nahestehen. Auch wenn das Stück nicht genau datierbar ist, ist wohl kein zweites so groß angelegtes Solo mit Continuo überliefert, das die Oboe als Soloinstrument angibt und stilistisch so weit in die Vergangenheit weist. Für mich wurde dieses Stück zu einer lohnenswerten Entdeckungsreise, die den Blick auf Vergangenes und Neues erweitern konnte.

 

Titelblatt der „Sÿmphonia“, Universitätsbibliothek Rostock, Mus.Saec.XVII.38/26

 

Ursprünglich war die Sÿmphonia vermutlich für Violine geschrieben und wurde für Oboe adaptiert, was uns die Quellen eindeutig zeigen. Dies mindert aber in keinster Weise mein Interesse an dieser Fassung, denn für die Zeit ist das überhaupt nicht verwunderlich: Gerade erst war die Oboe an den europäischen Höfen angekommen (→ siehe JC Pez: Ein neues Instrument verlangt neue Musik (1/2)) . Das macht die Rostocker Fassung sogar besonders interessant, denn hier können wir nachvollziehen, wie ein Kopist (vermutlich Oboist) die Violinfassung für die Oboe bearbeitet hat.

 

Neben dem Manuskript aus der Universitätsbibliothek Rostock (Mus.Saec.XVII.38/26) gibt es auch eine Kopie der Sÿmphonia im Universiteitsarchief Katholieke Universiteit Leuven (Archives of the Di Martinelli Family, VII 59, pp. 64-66) in Löwen (Leuven) in Belgien. Während die Rostocker (Oboen-)Fassung viele Korrekturen, Fehler und Änderungen aufweist, handelt es sich bei der Löwener Fassung um eine saubere Reinschrift, die wohl die originale Gestalt des Werkes zeigt und aufgrund des Tonumfanges offensichtlich für Violine angelegt ist:

 

 

Universiteitsarchief Katholieke Universiteit Leuven, Archives of the Di Martinelli Family, VII 59, p. 65 (Ausschnitt)

 

Was hat der Kopist also verändert, um das Stück spielbar zu machen? In erster Linie hat er natürlich die Melodieführung umgeschrieben, sodass Lagen unterhalb des c1 und oberhalb des c3’s, also jenseits des Tonumfanges der barocken Oboe, vermieden werden, und griff dabei zum Teil sehr stark in die musikalische Substanz ein. Darüber hinaus wurde ein kurzer Recitativo-Teil vor der abschließenden Gigue komplett gestrichen. Um die Kondition zu schonen, wurden in der Passacaglia zwischen den Variationen Abschnitte ohne Solo eingefügt. Allerdings ist oft gar nicht erkennbar, was überhaupt die endgütige Fassung war:

 

 

Das Rostocker Manuskript stammt aus der Musikaliensammlung des Erbprinzen Friedrich Ludwig von Württemberg-Stuttgart (http://www.ortus-musikverlag.de/de/ortus-studien/om61) und ist deshalb höchstwahrscheinlich in direkter Umgebung von JC Pez entstanden, der württembergischer Hofkapellmeister war. Es ist also durchaus legitim, dieses Werk gemäß der Quelle auf der Oboe zu spielen und könnte sogar im nächsten Schritt dazu anregen, auch weitere Werke dieser Zeit zu arrangieren.

 

Um dieses Stück spielbar zu machen erfordert es einiges an Editionsarbeit. Die Edition von Christoph Schneider bei Universal Edition stützt sich leider nur auf die Rostocker Quelle, weshalb ein großer Teil an Information nicht bedacht wurde. Schließlich hatte ich mich für die CD dazu entschieden, die Quellen zu kombinieren und mich nicht strikt an die Oboenfassung zu halten. Das sind Entscheidungen, die jeder für sich selbst treffen kann; deshalb möchte ich hier eine Vergleichsfassung und eine praktische Spielfassung zur Verfügung stellen, wie ich sie verwendet habe:


Vergleichsfassung → → → Symphonia_complete.pdf


Spielfassung → → → Symphonia_concert_version.pdf


Spielfassung Oboenstimme → → → Symphonia_concert_version_oboe_part

 

 

BIOGRAFIE
Pez entstammte einer Münchner Stadtpfeiferfamilie, erhielt seine musikalische Ausbildung an der dortigen Schule von St. Peter und wurde dort 1688 Hof- und Kammermusiker des Kurfürsten Max Emanuel, der ihm 1689 – 1692 einen Studienaufenthalt in Rom gewährte, wo Pez u. a. auch die Musik A. Corellis kennenlernte. Nach seiner Rückkehr wurde er 1694 vom Kurfürsten und Erzbischof von Lüttich, Johann Clemens, berufen, um die Hofkapellen an den Residenzen in Bonn und Lüttich neu aufzubauen. 1696 folgte die Ernennung zum Hofkapellmeister. Nach Ausbruch des spanischen Erbfolgekriegs (1701) kehrte er als Gambist, Organist und Komponist an die Münchner Hofkapelle zurück und wechselte nach deren Auflösung 1706 an den württtembergischen Hof in Stuttgart. Dort wurde er als Nachfolger J. S. Kussers Oberkapellmeister und blieb bis zu seinem Tode 1716. Zu seinen Lebzeiten war Pez hochgeachtet, seine Werke waren bis in die Niederlande und nach England verbreitet. Telemann zählte ihn noch 1725 zu den besten deutschen Komponisten, J. S. Bach führte mehrfach nachweislich seine Werke in Leipzig und Weimar auf.

 
Quellen / weiterführende Literatur
 
Johann Christoph Pez. Sÿmphonia Universitätsbibliothek Rostock, Mus.Saec.XVII.38/26
 
Johann Christoph Pez. Sÿmphonia Universiteitsarchief Katholieke Universiteit Leuven, Archives of the Di Martinelli Family, VII 59, S. 64-66
 
Bruce Haynes. The Eloquent Oboe. A History of the Hautbois 1640 – 1760 Oxford: University Press 2001
 
Siegbert Rampe, Léon Berben. Johann Christoph Pezin: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite, neubearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher, Kassel u. a. 1999