Robert Schumann schreibt die Romanzen 1849, kurz nach der Flucht vor dem Dresdner Maiaufstand in den Wirren der Revolution. Wie erlebte die Familie diese erschütternden Ereignisse, die für die künstlerische Arbeit prägend bleiben sollten?
„Mein fruchtbarstes Jahr war es – als ob die äußern Stürme den Menschen mehr in sein Inneres trieben, so fand ich nur darin ein Gegengewicht gegen das von Außen so furchtbar hereinbrechende.“
– Robert Schumann am 10. April 1849 an den Komponisten Ferdinand Hiller p>
Am Ende seiner beiden produktivsten Jahre als Komponist schreibt Robert Schumann die Drei Romanzen op. 94 im Dezember 1849. Über dieses Stück ist bereits sehr viel geschrieben worden: Gerne erzählt man von häuslicher Idylle, dem Weihnachtsfest 1849, bei dem Robert seiner Frau Clara die Romanzen als „hundertstes Opusculum“ schenkte, und oft wird es auch in Konzertprogrammen als „Praline“ in einem Kontext harmloser Eleganz präsentiert. Dabei entstanden die Romanzen erst kurz nachdem Schumann in der Revolution traumatische Ereignisse durchlebt hatte. In den drei folgenden Artikeln möchte ich darstellen, warum meiner Meinung nach der Kern dieses höchst verdichteten Werkes ein ganz anderer ist: Ein musikalischer Rückzug aus den Wirren der Zeit in die kompositorische Tiefe.

Was erlebten die Schumanns in Dresden in den Jahren 1848/49? Die Stadt war ein Brennpunkt der Deutschen Revolution, die dort für einige Tage bügerkriegsähnliche Ausmaße annahm, und schließlich mit militärischer Gewalt niedergeschlagen wurde. Ab Anfang 1848 ist im „Haushaltsbuch“ der Schumanns immer häufiger von „furchtbaren Zeitereignissen“, „ungeheurer politischer Aufregung“ oder „Cravall in der Stadt“ zu lesen. Clara ergreift von Anfang an Partei: Sie ist eine glühende Verfechterin der Pressefreiheit und bemerkt in ihrem Tagebuch: „Traurig ist es zu sehen, wie wenig wahrhaft freisinnige Menschen es unter dem gebildeten Stande gibt“ oder „über 1000 Menschen sollen gefallen sein, was hat so ein König auf seinem Gewissen!“.
Vom Wesen war Robert Republikaner und verfolgte die Ereignisse mit großer Aufmerksamkeit. Im Haushaltsbuch spricht er von „großen Zeiten“ oder „Völkerfrühling“. Viele seiner engsten Freunde waren in politischen Vereinen aktiv, allerdings hielt er selbst sich von einem direkten Engagement zurück. Ganz anders Richard Wagner, zu dieser Zeit Kapellmeister der Dresdner Hofoper: Seine politisch höchst brisanten Schriften „Die Revolution“ bzw „Die Kunst und die Revolution“ veröffentlichte er 1848/49 in den Dresdner „Volksblättern“. Trotz dieser Gegensätze war Schumann für ihn wohl in den ersten Monaten ein bevorzugter Gesprächspartner; sie trafen sich regelmäßig, um politische Ansätze und Ideen zu besprechen.
Im Frühjahr 1849 überschlugen sich in Dresden die Ereignisse, die Stadt sollte die größte Erschütterung nach den Napoleonischen Kriegen erleben: Am 30. April gab der sächsische König durch die Auflösung der Parlamentskammern den Anlass zum Dresdner Aufstand. Bald rücken preußische Truppen an, um diesen blutig niederzuschlagen. Clara notiert nach einem gemeinsamen Spaziergang mit Robert: „Am Freitag, den 4. [Mai], fanden wir, als wir in die Stadt gingen, alle Straßen verbarrikadiert, auf den Barrikaden standen Sensenmänner und Republikaner, die die Barrikaden immer höher bauen ließen, überall herrschte die größte Gesetzeslosigkeit, […] auf dem Rathaus saßen die Demokraten beisammen und wählten eine provisorische Regierung (da der König des Nachts nach Königstein geflohen war) […]. Auf unsrer Promenade durch die Stadt wurde uns auch der schreckliche Anblick von 14 Toten zuteil, die tags vorher gefallen und schrecklich zugerichtet zur Schau des Publikums im Hofe des Klinikums lagen.“
Bereits zwei Tage später entscheiden sich die Schumanns für die Flucht, damit Robert nicht für die Truppen der Aufständischen zwangsweise rekrutiert würde: „Es bildete sich auf unsrer Straße eine Sicherheitswache, und man wollte Robert dazu haben; nachdem ich ihn zweimal verleugnet, die Leute aber drohten, ihn suchen zu wollen, flüchteten wir mit Marien zur Gartentür hinaus“. Zusammen mit der Tochter Marie begibt sich das Paar über Umwege auf ein Gut im 20 Kilometer entfernten Maxen. Von dort macht sich Clara, im siebten Monat schwanger, am übernächsten Tag auf den Rückweg nach Dresden, um die kleineren Kinder, unter ihnen der erst 15 Monate alte Ludwig, zusammen mit der Amme zurückzuholen. Unter abenteuerlichen Umständen erreichte sie die Stadt, riss die Kleinen schlafend aus den Betten und kehrte mit ihnen nach Maxen zurück, wo Robert verblieben war. Nach einem kurzen Aufenthalt im verwüsteten Dresden wählte die Familie schließlich das nahe gelegene Kreischa als Asyl.

Ganz im Gegensatz zu Wagner, der an vorderster Front am Aufstand beteiligt war, wollte Schumann bei den Aufständischen nicht mitmachen. Erst in Kreischa lebt Robert wieder auf und macht sich durch die Presse ein Bild der Lage, hört gar nicht mehr auf Zeitung zu lesen; nebenbei komponiert er auch, unter anderem das Liederalbum für die Jugend op. 79. Die Rebellion ist nach wenigen Tagen niedergeschlagen, die Schumanns kehren schließlich Mitte Juni in die Stadt zurück. Robert ist geradezu euphorisiert: Zu einer Zeit, in der die Revolution ihren völligen Zusammenbruch erlebte, wird er sie in einen Bereich verlegen, in dem er sie schließlich verarbeiten kann: den seelischen Innenraum (→ siehe R Schumann: Rückzug und Revolution (2/3) ).
Quellen / weiterführende Literatur
Martin Geck. Robert Schumann. Mensch und Musiker der Romantik. München: Siedler Verlag 2010
Peter Gülke. Neuaufbruch und Enklave – Schumann und der Maiaufstand. in: Dresdner Hefte. Herausgegeben durch den Dresdner Geschichtsverein e.V., Heft 102, 2/2010
Wolfgang Mende. „[…] nie hätte ich den Sachsen so viel Mut zugetraut“ – Robert und Clara Schumann und die Revolution. in: Clara und Robert Schumann in Dresden – Eine Spurensuche. Köln: Verlag Dohr 2014